Unkomplizierte, bakterielle, ambulant erworbene Harnwegsinfektionen

2022-08-08 14:39:34 By : Ms. Fanny Feng

Hintergrund: Unkomplizierte, bakterielle, ambulant erworbene Harnwegsinfektionen zählen zu den häufigsten Infektionen im ambulanten Bereich. Das Resistenzniveau der Erreger hat erheblich zugenommen. Diese S3-Leitlinie beinhaltet aktuelle Evidenz zum rationalen Einsatz antimikrobieller Substanzen, zur Vermeidung eines unangemessenen Einsatzes bestimmter Antibiotikaklassen und damit der Resistenzentwicklung. Erstmalig wird die Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfektionen thematisiert.

Methode: Die Leitlinien-Aktualisierung erfolgte unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie. Es erfolgte eine systematische Literaturrecherche (Zeitraum: 2008–2015) zur Diagnostik, Therapie und Prävention unkomplizierter Harnwegsinfektionen in den Datenbanken Cochrane Library, MEDLINE und Embase. Randomisierte kontrollierte Studien sowie systematische Übersichtsarbeiten wurden eingeschlossen. Im Rahmen einer Leitliniensynopse wurden relevante Leitlinien identifiziert.

Ergebnisse: Einer symptomorientierten Diagnostik wird ein hoher Stellenwert beigemessen. Für die Therapie der Zystitis sind Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam oder Trimethoprim gleichwertig zu empfehlen. Fluorchinolone und Cephalosporine werden nicht empfohlen. Bei unkomplizierter Pyelonephritis mit leichten-moderaten Verlaufsformen sollen Cefpodoxim, Ceftibuten, Ciprofloxacin oder Levofloxacin als orale Antibiotika eingesetzt werden. Bei akuter unkomplizierter Zystitis kann eine alleinige symptomatische Therapie bei leichten-mittelgradigen Beschwerden alternativ zur Antibiotikatherapie in Absprache mit den Patienten erwogen werden. Zur Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfektionen werden primär nicht-antibiotische Maßnahmen empfohlen.

Schlussfolgerung: Ärzte, die an der Behandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte beteiligt sind, sollten sich mit den überarbeiteten Empfehlungen zur Auswahl und Dosierung der antibiotischen Therapie der aktualisierten Leitlinie vertraut machen, um eine verantwortungsvolle Planung/Abwägung einer Antibiotikatherapie zu ermöglichen.

Unkomplizierte, bakterielle, ambulant erworbene Harnwegsinfektionen gehören zu den häufigsten Infektionen im ambulanten Bereich. Die Prävalenz der Diagnose unkomplizierte Harnwegsinfektion (uHWI) (N39.0) lag 2013 bei 7,32 %, für die akute unkomplizierte Zystitis (AUZ) (N30.0) bei 1,73 % und für die akute unkomplizierte Pyelonephritis (AUP) (N10) bei 0,16 % für weibliche Versicherte der Barmer GEK (1). In den USA liegt die geschätzte Inzidenz von HWI bei Frauen ≥ 18 Jahre bei 12,6 % (2). Die Verordnungspraxis bei der Diagnose Zystitis auf Basis der Barmer- GEK-Daten ist konträr zu den Empfehlungen der Leitlinie 2010. So wurden 2012 für Harnwegsinfektionen primär Fluorchinolone in 48 % verordnet (1). Antibiotikaresistenzen sind ein steigendes globales Problem, das zu erheblichen Herausforderungen und Kosten im Gesundheitssystem führt (1, 3–5). Nach dem niedersächsischen Resistenzmonitoring ARMIN ist beispielsweise die Resistenz von E. coli gegenüber Ciprofloxacin im ambulanten Bereich in den letzten 10 Jahren von 10,3 auf 14,7 % gestiegen (6). Ebenfalls ist eine Zunahme der Resistenzen gegenüber Cotrimoxazol und Ampicillin zu verzeichnen (7, 8). Bekannt ist, dass verschiedene Antibiotikasubstanzen einen unterschiedlichen Selektionsdruck auf die Infektionserreger, aber auch auf die nicht an der Infektion beteiligte Standortflora ausüben, was als Kollateralschaden bezeichnet wird (Cephalosporine und Fluorchinolone am höchsten).

Ziel der Leitlinien-Aktualisierung ist die Erstellung von Handlungsempfehlungen für die klinische Praxis zur Diagnostik, Therapie und Prävention erwachsener Patienten. Die Empfehlungen und Statements richten sich an alle Berufsgruppen, die sich mit der Diagnose, Therapie und Prävention akuter uHWI befassen: Allgemeinärzte/Hausärzte, Gynäkologen, Infektiologen, hausärztlich tätige Internisten, Laborärzte, Mikrobiologen, Nephrologen, Urologen und Apotheker.

Die aktualisierte S3-Leitlinie wurde gemäß dem AWMF-Regelwerk erstellt (9) und entstand unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). Auf eine Finanzierung durch die pharmazeutische Industrie wurde bewusst verzichtet, Interessenkonflikte aller Autoren wurden transparent dargestellt. Zu zentralen Aussagen der Statements/Empfehlungen erfolgte eine Abstimmung der Experten jeweils mit/ohne Interessenkonflikt. Alle Autoren der aktualisierten S3-Leitlinie sowie ihre zugehörigen Fachgesellschaften sind im eKasten vollständig aufgelistet.

Methodisch wurde die Leitlinie erstmalig von UroEvidence@Deutsche Gesellschaft für Urologie, dem Wissenstransferzentrum der Deutschen Gesellschaft für Urologie, unterstützt. UroEvidence war für die Selektion der gefundenen Literatur durch zwei unabhängig arbeitende Personen (JK, SS), das Literaturmanagement (JK, SS) und die Bewertung des Evidenzgrades und des Risikos für Bias der Therapiestudien (JK, SS, LS) verantwortlich. Basis der Evidenzbewertung waren die Ergebnisse aus der systematischen Literaturrecherche (Suchstrategie in der Leitlinien-Langversion) (10) zu den Themen Diagnostik und Therapie uHWI, sowie zur Prävention rezidivierender Harnwegsinfektionen (rHWI). Hierzu wurden die Datenbanken Cochrane Library, MEDLINE und Embase für den Zeitraum 1. 1. 2008 (als Fortsetzung der systematischen Suche der Leitlinien-Erstversion von 2010) bis zum 31. 12. 2015 durchsucht. Darüber hinaus wurden aktuell publizierte, relevante Studien im Sinne einer „living-Guideline“ jederzeit berücksichtigt. Die Ergebnisse der Literaturrecherche wurden nach thematischer Relevanz sortiert und den einzelnen Arbeitsgruppen zugeteilt. Einschlusskriterium war neben dem hier definierten Patientenkollektiv das Studiendesign: randomisierte kontrollierte Studien (RCT), systematische Übersichtsarbeiten mit/ohne Metaanalyse. Ergebnisse der Literatursuche wurden entsprechend des PRISMA-Schemas (11) dargestellt (eGrafik 1) . Das Bias-Risiko aller eingeschlossenen Studien wurde bewertet: RCTs mit dem Cochrane Risk of Bias Tool, systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen mit der Scottish Intercollegiate Guideline Network (SIGN)–Bewertung (12, 13). Die Evidenzlevel-Bewertung erfolgte nach den Oxford Centre for Evidence-based Medicine Kriterien aus dem Jahr 2009 (14). Die Evidenztabellen (Effektstärken) der empfohlenen Antibiotika sind der eTabelle 1 zu entnehmen.

Im Rahmen einer Leitliniensynopse wurden aktuelle relevante Leitlinien identifiziert. Eingeschlossene Leitlinien (n = 19) wurden unabhängig durch zwei Leitlinienautoren nach den AGREE-Kriterien (15) bewertet.

Die Empfehlungsgrade wurden von den Mitgliedern der Leitliniengruppe unter Bezugnahme auf die Einteilung nach eGrafik 2 ausgesprochen. In 17 Konsensus-/Telefonkonferenzen wurden evidenzbasierte Aussagen und Empfehlungen erstellt. Die formale Konsensusfindung erfolgte als nominaler Gruppenprozess unter Leitung einer externen Moderatorin der AWMF (Prof. Dr. Kopp). Die Konsultationsfassung der Leitlinie wurde über die Fachgesellschaften und die Homepage der AWMF veröffentlicht (10). Stellungnahmen wurden durch die Leitliniengruppe bearbeitet und in der Endfassung berücksichtigt. Das detaillierte methodische Vorgehen, Kommentare aus der Konsultation sowie die Erhebungen der Interessenkonflikte sind im zugehörigen Leitlinienreport publiziert (10).

Patientengruppen mit uHWI sollten hinsichtlich Diagnostik, Therapie und Prävention differenziert betrachtet werden:

Auf Grundlage der systematischen Literaturrecherche wurden 75 Empfehlungen sowie 68 Statements ohne Diskordanzen bei der Abstimmung mit/ohne Interessenkonflikt konsentiert. Verwendete Definitionen sind dem Kasten zu entnehmen.

Im Folgenden werden ausgewählte Empfehlungen zur Diagnostik (eTabelle 2, eAbbildung, eGrafik 3, eGrafik 4) , Therapie (Tabelle 1, Tabelle 2, eGrafik 3) und Prävention (Tabelle 3) für die häufigsten Patientengruppen (nicht schwangere Frauen in der Prämenopause und Schwangere ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen) vorgestellt. Für die anderen definierten Patientengruppen wird auf die Leitlinien-Langversion (10) verwiesen.

Mit den diagnostischen Methoden soll geklärt werden, ob eine Harnwegsinfektion vorliegt, gegebenenfalls aber auch, durch welche Erreger diese ausgelöst ist und wie diese behandelt werden kann.

Die Sicherung einer akuten unkomplizierten Zystitis allein aufgrund klinischer Kriterien ist mit einer Fehlerquote von bis zu einem Drittel behaftet (16, 17). Nur die grundsätzliche Durchführung einer Urinkultur mit Bestimmung auch niedriger Erregerzahlen, Differenzierung und Empfindlichkeitsprüfung, könnte in der Zusammenschau mit den klinischen Symptomen die diagnostische Ungenauigkeit verringern (Goldstandard). Eine solche Maximaldiagnostik bei nicht selektierten Patienten ist jedoch weder ökonomisch sinnvoll (18), noch im Alltag praktikabel, da die Ergebnisse einer Urinkultur durch die zeitliche Verzögerung keinen wesentlichen Einfluss auf die empirische Kurzzeittherapie hätten.

Diagnostik in der Standardgruppe: Nicht schwangere Frauen in der Prämenopause

Akute unkomplizierte Zystitis (AUZ) – Bei Frauen, die keine Risikofaktoren für komplizierte Harnwegsinfektionen aufweisen, typische Symptome (Schmerzen beim Wasserlassen, Pollakisurie, imperativer Harndrang) beklagen, keine vaginalen Beschwerden (Juckreiz, veränderter Ausfluss) haben, bei denen kein Fieber und kein Flankenschmerz abgegeben wird, kann das Vorliegen einer AUZ mit nahezu 80-%iger Wahrscheinlichkeit angenommen werden (e1, e2) (Evidenzgrad [EG] IIa). Eine Urinkultur ist bei Frauen mit eindeutiger klinischer Symptomatik einer unkomplizierten, nicht rezidivierenden oder therapierefraktären Zystitis nicht erforderlich. Bei der Erstmanifestation einer AUZ oder, falls die Patientin dem Arzt nicht bekannt ist, sollte eine symptombezogene ärztliche Untersuchung mit Anamnese erfolgen (EG V-B). Mit dem validierten Fragebogen ACSS (Acute Cystitis Symptom Score) (eAbbildung) kann aufgrund klinischer Kriterien die Diagnose einer AUZ mit hoher Sicherheit (Sensitivität 94,7 %, Spezifität 82,4 % bei einem Summen-Score von ≥ 6 Punkten) gestellt, der Schweregrad der Beschwerden eingeschätzt, der Verlauf beobachtet und der Therapieeffekt messbar gemacht werden (EG IIb) (19, 20).

Akute unkomplizierte Harnwegsinfektion (AUP) – Neben einer allgemeinen Anamnese soll eine körperliche Untersuchung und Urinuntersuchung einschließlich Kultur durchgeführt werden (EG V-A). Zudem sollen zum Ausschluss von komplizierenden Faktoren weitergehende Untersuchungen (zum Beispiel Sonographie) in Betracht gezogen werden (EG V-A) (e3).

Asymptomatische Bakteriurie (ASB) – Bei nicht schwangeren Frauen ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen soll kein Screening auf eine asymptomatische Bakteriurie erfolgen (EG Ia-A) (e4–e6).

Rezidivierende Harnwegsinfektion (rHWI) – Bei Patientinnen mit rHWI sollte eine Urinkultur angelegt und einmalig eine Sonographie durchgeführt werden. Eine weitere invasive Diagnostik sollte nicht erfolgen (EG Ib-B) (e7, e8). Jedoch sollten bei Patientinnen mit persistierender Hämaturie oder persistierendem Nachweis von anderen Erregern als E. coli eine Urethrozystoskopie und weitere Bildgebung angestrebt werden (EG V-B) (e2, e9, e10).

Diagnostik bei Schwangeren ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen

Akute unkomplizierte Zystitis (AUZ) – Die Diagnostik der AUZ bei Schwangeren erfolgt bezüglich der Anamnese genauso wie bei nicht schwangeren Patientinnen. Allerdings sollen in jedem Fall eine körperliche Untersuchung und Urinuntersuchung einschließlich Kultur durchgeführt werden (EG V-A). Nach der Antibiotikatherapie einer AUZ soll in der Schwangerschaft die Erregereradikation durch Urinkultur verifiziert werden (EG V-A).

Akute unkomplizierte Pyelonephritis (AUP) – Die Diagnostik der AUP bei Schwangeren erfolgt analog der bei nicht schwangeren Patientinnen (EG V). In jedem Fall sollen eine körperliche Untersuchung und Urinuntersuchung einschließlich Kultur vollzogen werden (EG V-A). Bei Verdacht auf Pyelonephritis soll zusätzlich eine Ultraschalluntersuchung der Nieren und Harnwege durchgeführt werden (EG V-A) (e11, e12). Nach der Antibiotikatherapie einer Pyelonephritis soll in der Schwangerschaft die Erregereradikation durch Urinkultur verifiziert werden (EG V-A).

Asymptomatische Bakterurie (ASB) – Ein systematisches Screening auf eine ASB sollte in der Schwangerschaft nicht durchgeführt werden (EG Ib-B) (21, e13–e18). Die in der Praxis in der Regel durchgeführten Streifentests haben nur eine geringe Sensitivität von 14 –50 % für eine asymptomatische Bakteriurie in der Schwangerschaft (21–23).

Der alleinige Einsatz von Streifentests ist zur Diagnose einer ASB in der Schwangerschaft nicht ausreichend (EG IV) (21–23).

Rezidivierende Harnwegsinfektion (rHWI) – Die diagnostischen Überlegungen bei rHWI bei Schwangeren ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen entsprechen generell denen bei jüngeren Frauen ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen.

Eine Übersicht über Grenzwerte zur Diagnose unterschiedlicher Harnwegsinfektionen und der ASB findet sich in der eTabelle 2 .

Bei der Auswahl eines Antibiotikums sollen folgende Kriterien berücksichtigt werden (EG Ia-A):

Akute unkomplizierte Zystitis (AUZ), Standardgruppe

Die Spontanheilungsraten (nach 1 Woche: klinisch 28 %, klinisch und mikrobiologisch 37 %) der AUZ sind hoch. Bei der Therapie geht es im Wesentlichen darum, die klinischen Symptome innerhalb kürzerer Zeit (Tage) zu lindern (24). In den wenigen placebokontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass Symptome mit einer Antibiotikatherapie im Vergleich zu Placebo signifikant rascher abklingen (25). In einer aktuellen Studie von Gágyor et al. wurde der Effekt einer primär symptomatischen Behandlung mit Ibuprofen mit einer sofortigen antibiotischen Behandlung verglichen. Etwa 2/3 der Patientinnen mit der rein symptomatischen Behandlung haben kein weiteres Antibiotikum benötigt (26). Vor diesem Hintergrund kann bei Patientinnen mit AUZ mit leichten/mittelgradigen Beschwerden eine nichtantibiotische, symptomatische Behandlung erwogen werden (EG IA-B). Bei der Entscheidung für eine Therapie sollten die Präferenzen der Patientinnen angemessen berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die primär nichtantibiotische Behandlung, die mit der Inkaufnahme einer höheren Symptomlast einhergehen kann (Symptomfreiheit nach 7 Tagen: Ibuprofen 163/232 Patienten versus Fosfomycin 186/227, Konfidenzintervall ([95-%-KI]: [−19,4; −4,0]) (26). Eine partizipative Entscheidungsfindung mit den Patienten ist notwendig.

Für die Therapie der ASB ergeben sich folgende Aspekte: Bei Patienten, die sich einer erwartungsgemäß schleimhaut-traumatisierenden Intervention im Harntrakt unterziehen müssen, erhöht eine asymptomatische Bakteriurie das Infektionsrisiko.

Deshalb soll in diesen Fällen nach einer ASB gesucht und diese bei Nachweis behandelt werden (EG IA-A) (27).

Die Evidenz liegt vor allem für die transurethrale Prostataresektion vor. Bei Eingriffen mit niedrigem Risiko, zum Beispiel Urethrozystoskopie, gibt es keine Evidenz.

Kazemier et al. zeigten, dass sich bei Schwangeren das Risiko für die Entstehung einer symptomatischen Zystitis durch eine nicht behandelte beziehungsweise mit Placebo behandelten asymptomatischen Bakteriurie von 7,9 % auf 20,2 % erhöht (im Falle einer Pyelonephritis von 0,6 % auf 2,4 %) (28).

Bei den nicht therapierten Patientinnen wurde das Risiko für eine Frühgeburt durch eine asymptomatische Bakteriurie jedoch nicht erhöht (28).

Allgemeine Anmerkung zur antibiotischen Therapie der akuten unkomplizierten Zystitis (AUZ)

Aus der Gruppe der für die Therapie der AUZ prinzipiell geeigneten oralen Antibiotika beziehungsweise Antibiotikaklassen – Aminopenicilline in Kombination mit einem Betalaktamase-Inhibitor, Cephalosporine der Gruppe 2 und 3, Fluorchinolone, Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam, Trimethoprim beziehungsweise Cotrimoxazol – ist die Gefahr für mikrobiologische Kollateralschäden in Form von Selektion multiresistenter Erreger oder einem erhöhten Risiko für eine Clostridium-difficile-assoziierte Colitis bei Fluorchinolonen und Cephalosporinen am höchsten (29).

Die klinische Konsequenz einer vermehrten Resistenz gegenüber Fluorchinolonen und/oder Cephalosporinen wurde im Hinblick auf die notwendige Verwendung dieser Substanzen auch bei anderen Indikationen zudem als gravierender eingestuft, als die der anderen für die Therapie der AUZ geeigneten Antibiotika (EG V). Fluorchinolone und Cephalosporine sollen deswegen nach Möglichkeit nicht als Antibiotika bei der AUZ eingesetzt werden (EG V-A) (Tabelle 1) . Zusätzlich sollen patientenrelevante klinische Endpunkte (klinische Symptombesserung, Rezidive, aszendierende Infektionen) und das individuelle Risiko (zum Beispiel Achillessehnenruptur durch Fluorchinolone) beachtet werden.

Akute unkomplizierte Pyelonephritis (AUP), Standardgruppe

Bei der akuten unkomplizierten Pyelonephritis soll eine wirksame Antibiotikatherapie so früh wie möglich zum Einsatz kommen, da mögliche, wenn auch nicht häufige, Nierenschädigungen (30), durch die Zeitdauer, die Schwere und Häufigkeit solcher Infektionen begünstigt werden. Bei der Entscheidung über die differenzierte Auswahl eines Antibiotikums zur Therapie sollen Eradikationsraten, Empfindlichkeit, Kollateralschäden und Besonderheiten im Hinblick auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen berücksichtigt werden (EG V) (Tabelle 2, eGrafik 4) . Aufgrund der im Vergleich zur AUZ deutlich niedrigeren Prävalenz (0,16 %) (1) ist der Kollateralschaden niedriger einzustufen (1).

Prävention der rezidivierenden Harnwegsinfekte (rHWI), Standardgruppe

Bei rHWI der Frau soll vor jeder medikamentösen Langzeitprävention eine ausführliche Beratung der Patientin zur Vermeidung von Risikoverhalten (zum Beispiel unzureichende Trinkmenge, Unterkühlung, übertriebene Intimhygiene) erfolgen (EG Ib-A) (e19, e20). Wurden diese Präventionsmaßnahmen adäquat umgesetzt und bestehen weiterhin rezidivierende Harnwegsinfektionen, sollte vor Beginn einer antibiotischen Langzeitprävention ein Immunprophylaktikum aus einem E.coli Lysat (OM-89) oral über 3 Monate eingesetzt werden (EG Ia-B) (e21). Eine Immunprophylaxe mittels inaktivierter Keime spezifizierter Enterobakterien kann parenteral mit 3 Injektionen in wöchentlichen Abständen verwendet werden (EG Ib-C) (28). Darüber hinaus kann Mannose empfohlen werden (e22); alternativ können verschiedene Phytotherapeutika erwogen werden (EG Ib-C) (e23, e24). Bei hohem Leidensdruck der Patientin sollte nach Versagen von Verhaltensänderungen und nichtantibiotischen Präventionsmaßnahmen eine kontinuierliche antibiotische Langzeitprävention über 3–6 Monate eingesetzt werden (EG IV-B) (31) (Tabelle 3) . Besteht ein Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr, sollte als Alternative zur antibiotischen Langzeitprävention eine postkoitale Einmalprävention erfolgen (EG Ib-B) (31, e25, e26).

Unkomplizierte, bakterielle, ambulant erworbene Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen und deren antibiotische Therapie üben aufgrund ihrer Häufigkeit einen enormen Antibiotikaselektionsdruck auf die beteiligten Bakterien, aber auch auf die kollaterale Flora aus, woraus ein signifikanter Einfluss auf die Selektion antibiotikaresistenter Bakterien in der Gemeinschaft resultiert. Ein umsichtiger Umgang mit Antibiotika in diesem Bereich ist deswegen von außerordentlichem Interesse, um die Nachhaltigkeit der antibiotischen Therapie zu sichern. Antimicrobial-Stewardship-Aspekte haben deshalb wesentlich die therapeutischen Empfehlungen geprägt. Die evidenz- und konsensbasierten Empfehlungen der aktualisierten S3-Leitlinie bedürfen deswegen einer breiten Implementierung in alle mit Harnwegsinfektionen betrauten Fachgruppen, um eine Versorgungsverbesserung zu erreichen und damit eine vorausschauende Antibiotikapolitik gewährleisten zu können.

Danksagung Internationale Gutachter: Gernot Bonkat (Schweiz)

Koordination und externe Moderation: Ina Kopp, AWMF-Institut für medizinisches Wissensmanagement, Philipps-Universität Marburg

Ein besonderer Dank geht an Alexandra Pulst, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Versorgungsforschung am Institut für Public Health der Universität Bremen, für die Unterstützung bei der Erstellung der Leitliniensynopse und Evidenzbewertung.

Prof. Wagenlehner erhält Honorare für eine Beratertätigkeit von Achaogen, Astra Zeneca, Bionorica, MSD, Pfizer, Rosen-Pharma, Vifor-Pharma und Leo Pharma. Des Weiteren erhielt er Gelder für die Duchführung von klinischen Studien von MSD, Pfizer, Vifor-Pharma, Rosen-Pharma und Leo-Pharma.

Dr. Kranz erhielt Gelder von Leo-Pharma zur Erstellung einer systematischen Übersichtsarbeit.

Dr. Schmidt erhielt Gelder von Leo-Pharma zur Erstellung einer systematischen Übersichtsarbeit.

Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten eingereicht: 30. 8. 2017, revidierte Fassung angenommen: 25. 10. 2017

Anschrift für die Verfasser Dr. med. Jennifer Kranz, FEBU Klinik für Urologie und Kinderurologie, St. Antonius-Hospital Akademisches Lehrkrankenhaus der RWTH Aachen Dechant-Deckers-Straße 8 52249 Eschweiler jennifer.kranz@sah-eschweiler.de

Zitierweise Kranz J, Schmidt S, Lebert C, Schneidewind L, Schmiemann G, Wagenlehner F: Clinical practice guideline: Uncomplicated bacterial community-acquired urinary tract infection in adults—epidemiology, diagnosis, treatment, and prevention. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 866–73. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0866

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