Pränatale Methamphetamin-Exposition: Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung

2022-07-30 08:46:30 By : Ms. syndra mia

Hintergrund: In Deutschland liegt die 12-Monats-Prävalenz von Methamphetamin (MA) bei den 15- bis 34-Jährigen bei 1,9 %. Dies geht auch mit einer zunehmenden Zahl Neugeborener mit einer pränatalen MA-Exposition (PME) einher; im Jahr 2014 waren in Sachsen circa vier von 1 000 Neugeborenen betroffen.

Methode: Das systematische Review (Prospero-Registrierung: CRD42017060536) wurde für den Zeitraum Januar 1990 bis November 2019 durchgeführt. Ziel war die Klärung der Frage, welche Auswirkungen eine PME auf den peri- und neonatalen Zustand sowie die langfristige Entwicklung der Kinder hat. Es wurden Beobachtungsstudien mit Kontrollgruppe einbezogen und auf methodische Qualität geprüft.

Ergebnisse: 31 Publikationen (zu zwei prospektiven und sechs retrospektiven Kohortenstudien) mit insgesamt 4 446 Mutter-Kind-Paaren mit PME wurden mit 43 778 Paaren ohne PME verglichen. Metaanalytisch zeigt sich im Zusammenhang mit PME unter anderem ein niedrigeres Geburtsgewicht (standardisierte Mittelwertdifferenz [SMD] =  −0,348; 95-%-Konfidenzintervall: [−0,777; 0,081]), geringere Körpergröße (SMD = −0,198 [−0,348; −0,047]) und Kopfumfang (SMD = −0,479 [−1,047; 0,089]). Einige Unterschiede bleiben bis ins Kleinkindalter bestehen. Kinder mit PME zeigen zudem deutlich häufiger psychologische und neurokognitive Auffälligkeiten, deren Ausprägung bei Aufwachsen in einem problematischen Umfeld (Streit, Gewalt, Armut, niedriger Bildungsstand der Bezugsperson) verstärkt ist. Als eine Limitation ist die mangelnde Berücksichtigung relevanter konfundierender Variablen in einzelnen Studien zu nennen.

Schlussfolgerung: Die Auswirkungen einer PME auf die kindliche Entwicklung machen eine frühzeitige Behandlung der betroffenen Schwangeren sowie der Kinder und Familien erforderlich. Dabei sollten strukturierte und interdisziplinäre Präventionsmaßnahmen für MA-Konsum im Mittelpunkt stehen.

Im Vergleich zur Europäischen Union (EU) nimmt Deutschland (D) beim Konsum von Methamphetamin (MA) einen Mittelplatz bei der Lebenszeitprävalenz in der Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen ein (D: 3,6 %, EU: 3,7 %); in der Zwölf-Monats-Prävalenz bei den 15- bis 34-Jährigen belegt Deutschland einen Spitzenplatz (D: 1,9 %, EU: 1,0 %) (1). Unter den Substanzen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, gewinnt MA wegen seines hohen Suchtpotenzials und seiner Verbreitung gerade unter jungen Erwachsenen zunehmend an Aufmerksamkeit (2). Folgerichtig hebt der Bericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung für 2019 vor allem die Notwendigkeit der Prävention hervor (2).

MA-Konsum steht im Zusammenhang mit risikoreichem Sexualverhalten und frühzeitigen Schwangerschaften (3). Zur Prävalenz des Amphetaminkonsums während der Schwangerschaft liegen wenige gesicherte Daten vor. In einer englischen Studie (N = 149) wurde bei Schwangeren der Urin unter anderem auf Amphetamine getestet; positive Nachweise von Amphetamin fanden sich bei n = 5, was bezogen auf die Gesamtstichprobe einem absoluten Anteil von 3,3 % und rund einem Drittel (31,3 %) der positiv auf Drogen getesteten Frauen entspricht (4). In Sachsen stieg die Zahl der stationär behandelten Neugeborenen mit pränataler MA-Exposition (PME) innerhalb von vier Jahren von unter 1/1 000 Neugeborene (2010) auf über circa 4/1 000 Neugeborene (2014) deutlich an (5).

In den vergangenen Jahren wurden systematische Nachuntersuchungen bei Kindern mit PME durchgeführt. Auswirkungen auf die körperliche und neurokognitive Entwicklung im frühen Kindesalter standen dabei im Mittelpunkt. Einzelne Untersuchungen haben Eingang in die S3-Leitlinie „Methamphetamin-bezogene Störungen“ gefunden (6). Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die verfügbaren Daten zu den Folgen der PME auf die kindliche Entwicklung systematisch und, wo möglich, metaanalytisch zusammenzufassen.

Die Fragestellung des systematischen Reviews (7) lautete: Welche Auswirkungen hat eine pränatale MA-Exposition auf den peri- und neonatalen Zustand sowie die langfristige Entwicklung eines Kindes?

Die Einschlusskriterien wurden anhand der Forschungsfrage definiert und sind in der eTabelle 1 zu finden. Neuroimaging-Studien wurden nicht eingeschlossen.

Das Review-Protokoll wurde im „International Prospective Register of Systematic Reviews“ (PROSPERO) registriert (ID CRD42017060536). Details zur Recherchemethode und Datenextraktion sind im eMethodenteil 1 zu finden, die Suchstrings im eMethodenteil 2 .

Für die Bewertung der Studienqualität wurde das Bewertungsinstrument des „Critical Appraisal Skills Programme“ (CASP) (8) verwendet. Die methodische Bewertung wurde jeweils unabhängig von zwei Reviewern durchgeführt; bei fehlendem Konsens wurde ein dritter Reviewer konsultiert.

Die Ergebnisse des Reviews werden gemäß den „Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses“ (PRISMA) berichtet (9).

Insgesamt wurden 681 Publikationen durch die Datenbankrecherche und zehn weitere via Handsuche identifiziert. Nach Ausschluss der Duplikate und nach Titel-Abstract-Screening wurden 38 Publikationen in die Volltextbeurteilung eingeschlossen. Nach Ausschluss weiterer sieben Publikationen konnten 31 Publikationen in das systematische Review eingeschlossen werden (Grafik 1) . Eine Liste der ausgeschlossenen Publikationen samt Begründung ist im eMethodenteil 1 zu finden.

Deskriptive Angaben zu den Studien

Die Studie von van Dyk et al. (10) sowie die IDEAL („Infant Development, Environment, and Lifestyle“)-Studie (zu der die Publikationen [11–34] gehören) sind prospektive Kohortenstudien, wobei aus der IDEAL-Stichprobe zu einzelnen Forschungsfragen jeweils neue Subsamples gezogen wurden. Es kann also zwischen den Mutter-Kind-Paaren zu Überschneidungen kommen. Zu jedem Untersuchungszeitpunkt und Outcome wurde nur die jeweils erste erschienene IDEAL-Publikation zugrundegelegt. Somit entsteht eine Studiendauer von bis zu siebeneinhalb Jahren (16, 32). Über alle 25 Kohorten-(Sub-)Studien hinweg wurden 3 729 Mutter-Kind-Paare mit PME mit 8 717 Paaren ohne PME verglichen (eTabelle 2) .

Die übrigen sechs Studien sind retrospektive Kohortenstudien auf Basis von Patientenakten Neugeborener und deren Mütter (35, 36, 37, 38, 39, 40). Dabei wurden 717 Mutter-Kind-Paare mit PME mit 35 061 Paaren ohne PME verglichen (eTabelle 2) .

In den meisten Studien werden Kinder aus den USA untersucht (11, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 22, 25, 26, 27, 28, 30, 31, 32, 33, 36, 37, 39), drei IDEAL-Studien befassen sich mit Kohorten in Neuseeland (12, 21, 34). Darüber hinaus wurden Studien aus Thailand (35), Südafrika (10), dem Iran (38) und Deutschland (40) eingeschlossen.

Mit Ausnahme der Studien von Zabaneh et al. (31), van Dyk et al. (10), Good et al. (36), Pflügner et al. (40) und Saleh-Gargari et al. (38) wurde in allen Studien für den Konsum anderer süchtig machender Substanzen adjustiert, darunter insbesondere Alkohol, Tabak und Marihuana (eTabelle 2, eKasten 1) .

Auswirkungen einer PME fanden sich für die unterschiedlichen Phasen der kindlichen Entwicklung sowohl im kognitiven als auch somatischen Bereich (Grafik 2) .

Auswirkungen einer PME auf den postnatalen Zustand

Die erste vorgeburtliche Untersuchung erfolgte bei Schwangeren mit MA-Konsum fünf Wochen später als bei Schwangeren ohne MA-Konsum (26). Kinder mit PME kamen unreifer auf die Welt; in fünf von sechs Studien hatten Neugeborene mit PME ein statistisch signifikant niedrigeres Gestationsalter als solche ohne PME, wobei die Spannweite des Altersunterschieds bei 0,3–2,2 Wochen lag (26, 37, 38, 39, 40). Der Effekt der PME auf das Gestationsalter ist metaanalytisch in eGrafik 1 anhand der standardisierten Mittelwert-Differenz (SMD) dargestellt (SMD = −0,613; 95-%-Konfidenzintervall: [−1,448; 0,222]).

Neugeborene mit PME wiesen einen schlechteren postnatalen Zustand auf; der Apgar-Score nach einer Minute war in drei von drei Studien (25, 35, 37) (SMD = –0,166 [−0,458; 0,125]) und nach fünf Minuten in zwei von vier Studien niedriger (25, 35, 37, 38). In den beiden anderen Studien war der Fünf-Minuten-Score gleich beziehungsweise höher (35, 38) (SMD = 0,029 [0,470; 0,528]) (eGrafiken 2, 3) . Neugeborene und Säuglinge mit PME wurden häufiger (Odds Ratio = 2,66 [2,339; 2,991]; 35-mal in der exponierten Gruppe [n = 204], 15-mal in der Kontrollgruppe [n = 208]) (33) und länger (38, 40) stationär behandelt. Eine Studie fand eine höhere Sterblichkeit bei Neugeborenen mit PME. Diese lag (bei einem Beobachtungszeitraum auf Basis von Registerdaten aus sechs Jahren) in der exponierten Gruppe bei rund 5 % (n = 11 von 237), in der Kontrollgruppe bei rund 1 % (n = 325 von 34 055) (36).

Das Verhalten von Neugeborenen wurde in der IDEAL-Studie anhand der „Neonatal Intensive Care Unit Network Neurobehavioral Scale“ (NNNS) fünf Tage und einen Monat nach Geburt untersucht – verblindet für das die Untersuchung durchführende Personal (27, 29). Neugeborene mit PME zeigten mehr physiologische Anzeichen für Stress (g = 0,212 [−0,095; 0,519]); gleichzeitig waren sie eher lethargisch (g = 0,167 [−0,159; 0,493]) und schwieriger in Unruhe zu versetzen (g = −0,327 [−0,654; 0]) (27). Neugeborene mit PME hatten einen Monat nach der Geburt eine schlechter ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstregulation (g = −1,096 [−1,338; 0,853]), waren nach wie vor schwieriger in Unruhe zu versetzen (g = 2,473 [2,176; 2,771]) und benötigten mehr Unterstützung bei der Untersuchung (g = 0,455 [−0,221; 0,689]) (29). Der Zusammenhang bestätigte sich auch nach Adjustierung für den sozioökonomischen Status (27, 29). Häufiger MA-Konsum der Schwangeren (> 3-mal pro Woche) war mit niedrigeren Erregungs-Scores und stärkerer Lethargie bei Neugeborenen assoziiert (21). Die PME hatte keinen signifikanten Effekt auf Reflexe, Bewegungsabläufe und Aufmerksamkeit – weder direkt noch einen Monat nach Geburt (27, 29).

Bei Geburt zeigten sich Effekte einer PME auf das intrauterine Wachstum. So fanden sich bei Neugeborenen mit PME in jeweils sechs Studien niedrigere Werte als in der Kontrollgruppe für:

Pflügner et al. zeigten ähnliche Effekte für eine deutsche Stichprobe anhand statistisch signifikanter Unterschiede in den (für das Gestationsalter und Geschlecht adaptierten) „standard deviation scores“ zwischen der exponierten Gruppe und der Kontrollgruppe (40). Zudem konnten Pflügner et al. respiratorische Störungen, etwa Adaptationsstörungen (31/102 der exponierten versus 8/171 der nichtexponierten Kinder; relatives Risiko [RR] = 6,496 [6,12; 6,972]) und einen schlaffen Muskeltonus (7/102 der exponierten versus keines der 171 nichtexponierten Kinder) nachweisen (40).

Das Körpergewicht war bei Kindern mit PME während der ersten Lebensjahre niedriger; die Unterschiede waren jedoch nur im Alter von zwei Jahren statistisch signifikant (g = −0,3 [−0,59; −0,02]), jedoch nicht im Alter von ein und zwei Jahren (ein Jahr: g = −0,14 [−0,43; 0,14]; drei Jahre: g = −0,16 [−0,46; 0,14]) (34). Die Körpergröße im Alter von drei Jahren war bei Kindern mit PME statistisch signifikant niedriger (g = −0,40 [−0,71; −0,1]), jedoch nicht im Alter von ein oder zwei Jahren (ein Jahr: g = −0,2 [−0,49; 0,08], zwei Jahre: g = −0,2 [−0,48; 0,08]) (34). Der Kopfumfang war im Alter von einem Jahr bei Kindern mit PME noch statistisch signifikant niedriger (g = −0,3 [−0,58; −0,01]), glich sich dann aber der Kontrollgruppe an (zwei Jahre: g = −0,14 [−0,42; 0,14], drei Jahre: g = −0,12 [−0,42; 0,18]) (34).

Auswirkungen einer PME auf die neurokognitive und motorische Entwicklung

Zu verschiedenen Zeitpunkten fanden sich Hinweise für negative Auswirkungen einer PME auf die kognitive Entwicklung. Im Alter von vier Jahren hatten Kinder mit PME eine niedrigere soziale Kompetenz, eine weniger weit entwickelte Auge-Hand-Koordination und eine niedrigere Gesamtperformance auf „Griffiths Mental Development Scales“, wohingegen keine statistisch signifikant größeren Schwierigkeiten mit der Fortbewegung, der Fähigkeit zum praktischen Denken sowie der Hör- und Sprechfähigkeit bestanden (10). Auch mit 7,5 Jahren zeigten Kinder mit PME mehr kognitive Probleme – wie etwa Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten (16). Diese Ergebnisse persistierten auch nach Adjustierung für sozioökonomischen Status und Bildungsstand der Mutter (10, 14, 16).

Hinsichtlich der Aufmerksamkeit zeigten sich Effekte im Alter von 5,5 Jahren. Kinder mit PME hatten eine höhere Reaktionszeit bei „Connors‘ Continuous Performance“(CCP)-Test für die Diagnose der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) (14) und waren ungenauer in ihrer Reaktion gemäß Dots Test (15). Dies galt auch nach Adjustierung für sozioökonomischen Status und Bildungsstand der Mutter (15). Die Reaktionszeit nach CCP-Test war statistisch signifikant höher für Kinder, die im Mutterleib häufig (> 3-mal pro Woche) MA ausgesetzt waren (g = 0,097 [−0,331; 0,525]). Zudem machten sie beim Test mehr Fehler (g = −0,5551 [−0,984; −0,119]) (15).

Kinder mit PME konnten im Alter von einem Jahr schlechter greifen (28); eine Studie zeigte für Kinder in Neuseeland niedrigere Werte im „Psychomotor Development Index“ – ein Effekt, der bis zum Alter von zwei Jahren stabil blieb (34). Auf dem „Mental Development Index“ unterschieden sich jedoch Kinder mit PME im Alter von 1–3 Jahren nicht von jenen ohne PME (28, 34).

Im weiteren Verlauf ihres Lebens hatten Kindern mit PME häufiger Kontakt mit Einrichtungen des Jugendschutzes (109/204 der exponierten versus 5/208 der nichtexponierten Kinder; RR = 22,228 [21,781; 22,675]) (33). Zudem hatten Kinder mit PME statistisch signifikant häufiger einen chronisch erhöhten Blutdruck (11/144 der exponierten versus 2/107 der nichtexponierten Kinder; RR = 4,087 [3,329; 4,845]) (39). 20 der 107 exponierten Kinder der Stichprobe von Pflügner et al. zeigten Anzeichen eines neonatalen Abstinenzsyndroms (34).

Galland et al. fanden keine signifikanten Auswirkungen der PME auf das Schlafverhalten Neugeborener (17). Zudem sind die Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder im weiteren Verlauf des Lebens (eKasten 2) nicht eindeutig und insgesamt spärlicher. In eTabelle 3 sind alle statistisch signifikanten und nichtsignifikanten Effekte inklusive Richtung des Effekts dargestellt.

In die summarische Bewertung der Studienqualität (eTabelle 2) sind die folgenden methodischen Mängel eingeflossen:

Weitere Details zur Studienqualität finden sich in eKasten 3 .

Die Auswirkungen einer PME auf die kindliche Entwicklung wurden in den vergangenen Jahren in verschiedenen Studien untersucht und im vorliegenden Review zusammengefasst.

Fallberichte mit zerebraler Bildgebung ließen bereits Auswirkungen einer PME auf die Entwicklung zentraler Gehirnareale vermuten, etwa auf die superiore und posteriore Corona radiata (e1). Die Ergebnisse der analysierten Kohortenstudien verdeutlichen die klinische Relevanz einer PME. So hatten Kinder mit PME einen niedrigeren Kopfumfang bei Geburt und während der ersten Lebensjahre und wiesen bis ins Grundschulalter häufiger neurokognitive Probleme auf. Da nicht in allen Studien adäquat für einen zusätzlichen Tabak- und Alkoholkonsum beziehungsweise niedrigen sozioökonomischen Status – die einen negativen Einfluss auf die langfristige Entwicklung haben – adjustiert wurde, kann der Effekt nicht in allen Fällen allein der PME zugeschrieben werden. Ähnliche Effekte wurden bereits für eine pränatale Exposition mit anderen Drogen beschrieben (e2): Nach Methadon- und Marihuana-Exposition hatten Neugeborene einen geringeren Kopfumfang, die Exposition mit Kokain und Methadon hatte Effekte auf die kognitive und motorische Entwicklung (e3). Funktionelle Auswirkungen einer PME auf das Verhalten der Kinder sind in den vorliegenden Studien nicht eindeutig: So fand sich im Alter von fünf Jahren eher ein internalisierendes, mit 7,5 Jahren dann ein eher externalisierendes Verhalten (eTabelle 3) .

Implikationen für die Prävention und Versorgung

Wurde das Umfeld, in dem ein Kind mit PME aufwächst, in die Analysen einbezogen, zeigte sich, dass ein von Streit, Gewalt, Armut und niedrigem Bildungsstand der primären Bezugspersonen geprägtes soziales Umfeld mit einer stärkeren Ausprägung des Effekts der PME auf die Verhaltensentwicklung im Verlauf des Lebens assoziiert ist (e4), selbst wenn, wie bei den IDEAL-Publikationen, für sozioökonomischen Status und Ausbildungsstand adjustiert wurde (e5). Dies ist relevant, da die betroffenen Mütter häufiger alleinerziehend sind, einen niedrigeren sozialen Status haben und eher zu Depressionen oder Perspektivlosigkeit neigen (e6).

Eine auf mütterliche Abstinenz ausgerichtete Entzugstherapie sollte daher frühestmöglich in der Schwangerschaft ansetzen (e7) und Interventionen die individuellen Konsummotive adressieren (e8), um Konsum während der Schwangerschaft zu verhindern und sicherzustellen, dass Kinder mit PME in einem stabilen sozialen Umfeld aufwachsen. Risikoprofile, anhand derer werdende Mütter angesprochen werden können (etwa sozialer Status und Depressivität), lassen sich aus den Studiendaten ableiten (e9). Multiprofessionelle Versorgungsnetze können helfen, den Drogenkonsum schwangerer Frauen rechtzeitig zu erkennen und diese von der Notwendigkeit von Vorsorgeuntersuchungen zu überzeugen (e10), da diese das ideale Setting für Entzugsmaßnahmen sind (e11). Erste Ergebnisse der Evaluation eines integrierten Versorgungssystems für Mutter-Kind-Paare mit PME zeigen, dass in der Betreuung in einem Perinatalzentrum eine Mutter-Kind-Bindung aufgebaut werden kann (e11). Allerdings existieren weder Studien zur Effektivität eines MA-Entzugsprogramms während der Schwangerschaft noch Leitlinien zu dessen Durchführung (e12).

Methodische Stärken und Limitationen

Dieses registrierte systematische Review wurde anhand der AMSTAR-Checkliste auf Vollständigkeit geprüft. Zur Durchführung und Berichterstattung wurde zudem die PRISMA-Checkliste herangezogen (e13). Dennoch sind methodische Limitationen zu diskutieren. So wurde nicht in allen Studien die Exposition mit MA objektiviert beziehungsweise quantifiziert. Zudem wurden einzelne Effekte der PME nicht in allen IDEAL-Kohorten gleichermaßen nachgewiesen. Die methodischen Limitationen (eKasten 4) führen teilweise zu hoher Heterogenität (I²) bei den berechneten Gesamteffekten der PME (Grafik 3) .

Danksagung Die Arbeit am Manuskript wurde teilweise vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert (Förderkennzeichen: ZMVI1–2517DSM212). Die Autorin und die Autoren bedanken sich bei Solveig Pohl und Christin Bohl für ihre Unterstützung bei der Qualitätsbeurteilung.

Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten eingereicht: 14. 7. 2020, revidierte Fassung angenommen: 19. 1. 2021

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Mario Rüdiger Fachbereich Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Universitätsklinikum Dresden Fetscherstr. 74, 01307 Dresden mario.ruediger@uniklinikum-dresden.de

Zitierweise Harst L, Deckert S, Haarig F, Reichert J, Dinger J, Hellmund P, Schmitt J, Rüdiger M: Prenatal methamphetamine exposure: effects on child development. A systematic review. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 313–9. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0128

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter: www.aerzteblatt-international.de

Zusatzmaterial eLiteratur, eKästen, eMethodenteile, eGrafiken, eTabellen: www.aerzteblatt.de/m2021.0128 oder über QR-Code

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