30. Geburtstag: Der Delta brachte Lancia Ruhm und Rallyesiege - WELT

2022-07-23 08:14:09 By : Mr. John Lee

E r ist weder Produktionsmillionär noch extravaganter Innovationsträger. Dennoch zählt der Lancia Delta, das „Auto des Jahres 1980“, zu den ganz großen Meisterstücken italienischen Automobilbaus. Als Nachfolger der legendären Fulvia brachte er vor dreißig Jahren Luxus und Leistung in die fünftürige Kompaktklasse.

Gezeichnet mit zeitlos-eleganten Linien von Stardesigner Giorgetto Giuagario - dem Couturier des VW Golf I - entwickelte sich der edel ausgestattete Delta zum ersten noblen Kompaktklassemodell für Schöngeister, Kreative und Erfolgsmenschen. Allerdings war der Delta weit mehr als eine schicke Schräghecklimousine auf Basis des bürgerlichen Fiat Ritmo. Vielmehr adelte er die Marke Lancia noch einmal mit weltweitem Renommee und weltmeisterlichem Ruhm.

Und während die bis zu 600 PS starken Hochleistungssportler Delta S4 und Delta HF Integrale die Rallye-WM mit insgesamt sechs Titelgewinnen rund ein Jahrzehnt fast nach Belieben beherrschten, brachten die Straßenversionen italienischen Luxus unter dem Markenzeichen von Saab bis nach Skandinavien. Zwei spezielle Rekorde in der Unternehmenschronik setzte die erste Delta-Generation am Ende ihrer Laufbahn: Mit fast 16 Jahren erreichte sie die längste Produktionszeit. Und mit über einer halben Million verkaufter Autos avancierte sie in der Lancia-Historie zur meistverkauften Baureihe oberhalb der Kleinwagen, die automobilhistorisch der adoptierten Autobianchi-Linie entstammen.

Lancia galt Mitte der 1970er Jahre noch immer als eine der geschichtsträchtigsten und innovativsten Automobilmarken der Welt, doch die Absatzzahlen dümpelten damals ganz so wie heute auf besorgniserregend niedrigem Niveau. Fiat-Chef Giovanni Agnelli forderte deshalb die rasche Entwicklung neuer Volumenmodelle für die erst fünf Jahre zuvor übernommene feine Tochter, also vor allem einen Nachfolger für das 1972 ausgelaufene Erfolgsmodell Fulvia, das vom größeren Beta nur unzureichend ersetzt wurde.

Der Startschuss fiel für das Projekt Y5, das ab 1974 mit Unterstützung durch Giorgetto Giugarios Erfolgsunternehmen Italdesign realisiert werden sollte. Damit verpflichtete Lancia erstmals weder Altmeister Pininfarina noch den Hausdesigner Castagnero für einen automobilen Maßanzug. Neu war auch eine Entwicklungskooperation mit Saab bei der Heizungs- und Belüftungsanlage, die später zu dem Gemeinschaftsprojekt Lancia Thema, Saab 9000, Fiat Croma und Alfa 164 führte.

Im September 1979 feierte der kompakte Lancia auf der Frankfurter IAA Weltpremiere und tatsächlich schaffte er es in den folgenden Jahren, die Ansprüche der verwöhnten Lancia-Kunden an Stil, Glamour und Technologie zu erfüllen. Auf beachtliche Stückzahlen kam der Delta zwar sofort, nicht aber auf die avisierten 200.000 Einheiten pro Jahr.

Es mangelte dem Fiat im feinen Kleid an Qualität, besonders an Rostschutz und an leistungsstarken Triebwerken. Ähnlich wie seine Hauptwettbewerber Fiat Ritmo, Alfasud, VW Golf, Opel Kadett oder Simca Horizon gab es den kompakten Lancia mit 1,3-Liter und 1,5-Liter-Motoren, dies alles aber in Verbindung mit einer gehobenen Ausstattung und zu stolzen Preisen.

Ein Paket, das in Nordeuropa als Saab 600 völlig scheiterte und in anderen Ländern erst ab Ende 1982 so richtig Fahrt aufnahm. Da wurde der Delta zwar bereits durch die erfolgreiche Stufenheckversion Prisma bedrängt, entscheidend war jedoch die Verlagerung der Produktion zugunsten der Qualität vom alten Fiat-Werk Lingotto ins moderne Chivasso. Zusammen mit der ersten gründlichen Modellpflege machte diese Entwicklung die Bahn frei für eine Leistungsexplosion, wie sie die Kompaktklasse bis dahin noch nicht erlebt hatte.

Zunächst wurde 1983 der Delta 1.6 HF mit 130 Turbo-PS ein überlegener Golf-GTI-Jäger. Dann ging es Schlag auf Schlag: Vater beispielloser Rallyeerfolge wurde 1985 der Mittelmotor-Stürmer Delta S4 mit 250 PS in der auf 200 Einheiten limitierten Straßenversion und mit 480 PS als Rallyeauto der Gruppe B. Mit insgesamt 15 Siegen schon in der ersten Saison entwickelte sich der Delta S4 zum Überflieger in der Rallye-EM und -WM und zum härtesten Rivalen des Peugeot 205 Turbo 16.

So war der S4 ein würdiger Nachfolger der Ikonen Lancia Stratos und 037 Rally. Gekrönt werden sollte das Delta-Rallye-Programm 1987 durch den Delta ECV mit einem Chassis aus Karbon-Verbundmaterial und bis zu 600 PS Leistung – da kam unvermittelt das Aus für die Rallye-Gruppe B. Zu viele Unfälle und ein nach oben offener Leistungswettlauf schienen der FIA zu gefährlich.

Aber Lancia hatte bereits ein neues Eisen im Feuer. Schon 1986 wurde das Straßenmodell Delta HF 4WD mit Allradantrieb und markanter Doppelscheinwerfer-Front vorgestellt, auf den Rallyepisten der Welt ein nahezu unschlagbarer Weltmeister. Danach war der Delta als ständig weiterentwickelter HF Integrale - mit charakteristischen Karosserieverbreiterungen - die zivile, aber kaum entschärfte Variante des WRC-Geschosses, mit dem die Rallye-Weltmeister bis zur Saison 1992 auf den Thron rasten.

Wie nur wenige Autos erlebte der kompakte Lancia durch die technisch innovativen Hochleistungsversionen und die Motorsporterfolge einen Aufschwung in den Absatzzahlen, der die Anfangsschwierigkeiten vergessen ließ und die Einführung des Nachfolgers um Jahre hinauszögerte. Bis heute genießen Delta 4WD und Integrale einen Nimbus, der sich in erstaunlich hohen Liebhaberpreisen niederschlägt.

1993 war es aber doch soweit: Auch wenn die Integrale der ersten Delta-Generation in vielen Sonderserien wie Club Italia oder Final Edition noch weiter vom Band rollen sollten, feierte auf dem Genfer Salon ein vollkommen neuer Delta Weltpremiere. Auf Basis der Modelle Fiat Tipo und Lancia Dedra wurde der Delta Nuova vorgestellt, ein zurückhaltendes Auto, das auf Rallyeeinsätze verzichten musste und nicht an den Erfolg des Vorgängers anknüpfen konnte.

Wie die einst gefeierte Sportkombi-Stilikone Beta HPE sollte deshalb ab 1995 der dreitürige Delta HPE zum eleganten Golfsack-Transport einladen. Ein Versuch, der aber nicht glückte. Denn letztlich war der HPE nur ein dreitüriger Kompaktklässler, dem es an Rasse und Eleganz eines Kombi-Coupés fehlte.

Für Furore sorgte erst wieder das 2006 enthüllte Delta HPE Concept, der spannend geformte Vorbote des heute aktuellen Delta. Seit 2008 symbolisiert der Lancia Delta seine Sonderstellung im eher tristen Meer der Kompaktklasse durch extrovertiertes Design, stilvollen Luxus und üppige Abmessungen, die das handliche Format seiner Fahrzeugklasse sprengen. Ein eleganter Italiener mit einem kühnen Vorhaben: Unter dem Chrysler-Logo soll er jetzt Amerika erobern.

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